Der portugiesische Kapitän Tomás Appleton lacht mit Mike Tadjer während der Pressekonferenz zur Rugby-Weltmeisterschaft 2023.
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Einblicke – Artikel 1

Natur, Veranlagung und Brüderlichkeit

Familienporträts beim Rugby World Cup 2023

8 Min.
Bei der Rugby-Weltmeisterschaft 2023 verlagern wir den Fokus weg von den Flutlichtern und den tosenden Menschenmassen, um zu zeigen, was sich hinter den weißen Linien befindet. Ist es die Natur oder die Veranlagung, die das Schicksal der Spieler bestimmt? Wie prägen Erinnerungen aus der Vergangenheit ihre Zukunft? Und ist Familie mehr als Blutsverwandtschaft? Im ersten Artikel unserer Reihe „Einblicke“, die ein ganz neues Licht auf den Rugbysport wirft, erzählen die portugiesischen Spieler Jerónimo Portela, João Granate und Mike Tadjer ihre Geschichte – in ihren eigenen Worten, aus ihrer eigenen Sicht.

Der Weg zur Rugby-Weltmeisterschaft 2023 ist länger, als man vielleicht denkt. Bei einigen reicht er bis zu dem Moment zurück, als sie zum ersten Mal einen Ball in die Hand nahmen. Für andere beginnt dieser Weg bereits vor ihrer Geburt.

Liegt es einem im Blut, diesen Weg einzuschlagen? An der Stadt, in der man aufgewachsen ist? Daran, wer einen groß zieht, oder mit wem man groß wird? Wird die Position auf dem Spielfeld durch die Position im Leben bestimmt?

Um die Geschichte einer Person vollständig zu verstehen, muss man sie aus verschiedenen Blickwinkeln, aus neuen Perspektiven und in einem anderen Licht betrachten. Wir glauben, dass die Veränderung der Sichtweise auf einzelne Dinge auch die Sichtweise auf die ganze Sache verändern kann. Deshalb werfen wir einen anderen Blick auf die Rugby-Weltmeisterschaft 2023, indem wir den Spielern die Möglichkeit geben, ihre ganz persönliche Geschichte zu erzählen.

Dabei zeigt sich ein überraschendes, weicheres Bild: eines von Liebe, Stolz und der Familie.

WIE DER VATER, SO DER SOHN

Vielen Menschen fällt es schwer, sich in ihren Eltern wieder zu finden. Manche entwickeln sich zum genauen Gegenteil der Eltern – in Auftreten, Verhalten, Einstellung und/oder Lebensführung. Das kann gewollt oder ganz unbewusst passieren. Andere scheinen wiederum prädestiniert zu sein, den gleichen Weg zu gehen.

Als kleine Jungen bewunderten die Portugiesen Jerónimo Portela und João Granate ihre Väter und traten schließlich in deren Fußstapfen. Beide Männer spielten eine wichtige Rolle bei Portugals bisher einziger Teilnahme an einer Rugby-Weltmeisterschaft – eine Erfahrung, die für die Persönlichkeitsbildung und die Berufswahl ihrer Söhne von großer Bedeutung war.

„Mein Vater war der Mannschaftsarzt“, erzählt João und erinnert sich stolz an das Turnier 2007. „Er war immer bei der Mannschaft, also war ich ein großer Unterstützer.“

ICH WAR IMMER AUFGEREGT, WENN ICH MEINEM VATER ZUSAH“

Die Verbundenheit mit dieser Mannschaft – in Kombination mit der unermüdlichen Arbeitsmoral seines Vaters und dem Spiel Portugals gegen die besten Spieler dieser Sportart – brachte João auf den Weg, ebenfalls sein Land vertreten zu wollen.

„Ich habe das Spiel Portugal gegen Neuseeland live gesehen“, berichtet er. „Das war einer der unglaublichsten Momente meines Lebens – die All Blacks, die beste Mannschaft aller Zeiten, gegen die Spieler spielen zu sehen, die ich alle durch meinen Vater kannte.

„Die Atmosphäre war einfach unglaublich. Für mich war das ein Traum, der Wirklichkeit wurde.“

Wir glauben, dass jeder die Möglichkeit haben sollte, seine eigene Geschichte zu erzählen. Deshalb haben wir Spielern der portugiesischen Rugby-Mannschaft wie João und Jerónimo Kameras zur Verfügung gestellt, um ihr Leben im Sport und das Leben drum herum zu dokumentieren.

Ein kleiner Junge mit Gesichtsbemalung in den Farben der portugiesischen Flagge und ein junger Jerónimo Portela in der Menge

Jerónimo Portela unterstützt seinen Vater Miguel als Vertreter Portugals (Quelle: von den Spielern zur Verfügung gestellte Archivfotos)

Die beiden Jungen, Sandro und Andrea Tadjer, schauen am Rande eines Rugbyfeldes zu

Sandro und Andrea Tadjer beobachten ihren Vater Mike. (Quelle: Familienarchiv)

Der Spieler Miguel Portela mit seinen drei Kindern, darunter auch Jerónimo Portela, der einen Pokal hält

Jerónimo präsentiert eine Vereinstrophäe mit seiner Familie. (Quelle: Familienarchiv)

Der Vater von João Granite steht in einem Trainingsanzug und mit einem Schlüsselband am Spielfeldrand in einem voll besetzten Stadion

João Granates Vater im Jahr 2007. (Quelle: Familienarchiv)

Jerónimos Vater Miguel, der mehr als 50 Mal für Portugal gespielt hat, gehörte zur Mannschaft von 2007. Und obwohl Jerónimo erst sechs Jahre alt war, blieb die Leidenschaft der Fans und der Mannschaft in ihm hängen.

„Ich war immer aufgeregt, wenn ich meinem Vater zusah“, erzählt er und lächelt. „Er mochte den Kontakt, Zweikämpfe und den Ballbesitz – deshalb war ich jedes Mal, wenn er spielte, so aufgeregt.“

„Ich erinnere mich noch gut an das erste Spiel gegen Schottland, als sie die Hymne gesungen haben. Es war ein sehr emotionaler Moment, ein großartiger Moment, und er hat mich inspiriert. Das war mit einer der Gründe, warum ich angefangen habe, Rugby zu spielen.“

DIE MUTTER ALLER INSPIRATIONEN

Es wäre zu einfach zu behaupten, dass Rugbyspieler nur das Produkt von rugbyspielenden Vätern sind. Sie werden durch ihre Umgebung, ihre Geschwister, ihre Erfahrungen, ihre Erinnerungen und natürlich durch ihre Mütter geprägt.

Wie John Steinbeck schon sagte: „Vielleicht braucht man Mut, um Kinder zu erziehen.“ Das trifft sicherlich zu, wenn sich das Kind einer körperlichen Kontaktsportart wie dem Rugby verschrieben hat.

„Ich glaube, für meine Mutter war es wirklich nicht einfach“, sagt Jerónimo, „aber sie hat mich optimal unterstützt.“

Und auch wenn es nicht immer einfach war, ihren Söhnen zuzusehen, haben die Mütter der Spieler einen großen Teil ihrer Persönlichkeit und ihres Ehrgeizes geprägt.

Mike Tadjer, Portugals Hooker, spricht mit viel Liebe und Verehrung über seine Mutter. Sie ist Syrerin und wurde in Madagaskar geboren, bevor sie in jungen Jahren nach Frankreich zog. Mike erzählt von ihrem unermüdlichen Tatendrang und ihrer Arbeitsmoral und er ist sehr stolz, das von ihr geerbt zu haben.

João Granite im roten Portugal-Trikot und seine Mutter lächeln in die Kamera

Neuere Bilder von João mit seiner Mutter. (Archivfotos von den Spielern zur Verfügung gestellt)

Ein junger Jerónimo Portela steht mit erhobenen Armen inmitten von portugiesischen Rugby-Fans in einem Stadion

Ein junger Jerónimo, der seinen Vater anfeuert. (Archiv)

João Granite im roten Portugal-Trikot küsst seinen Vater am Rande eines Rugbyfeldes auf den Kopf

João feiert mit seinem Vater. (Quelle: Familienarchiv)

Jerónimo Portela im rot-schwarzen Rugby-Trikot (rechts) hält einen Pokal, während er neben seinem Vater (Mitte) und einem Mannschaftskameraden steht

Miguel nutzt die Chance, Jerónimos Erfolg zu feiern. (Archiv)

„Ich habe erlebt, wie meine Mutter jeden Tag um fünf Uhr morgens aufstand, um zur Arbeit zu gehen, und sie hat nie aufgegeben“, erzählt er. „Sie hatte etwa drei Jobs am Tag, um Geld für das Essen und alles andere zu verdienen.

„Ich habe erlebt, wie mein Vater und meine Mutter jede Arbeit angenommen haben. Und das alles, damit meine Geschwister und ich ein besseres Leben haben konnten. Ich hoffe sehr, dass ich sie heute stolz mache.“

„Das ist der Grund, warum ich meinen Beruf ausübe: Ich gebe niemals auf. Auch wenn ich nicht der Geschickteste oder Schnellste bin, ich mache meine Arbeit. Das habe ich von meiner Mutter.“

Ich habe erlebt, wie meine Mutter jede Arbeit angenommen hat.“

João hat auch viele Eigenschaften von seiner Mutter geerbt, die ihn zu einem besseren Spieler und Menschen machen.

„Von meiner Mutter habe ich die Fähigkeit, mich um meine Teamkollegen und Partner zu kümmern“, sagt er. „Das Team wie eine Familie zu behandeln. Und ich habe von ihr diese Hartnäckigkeit, niemals aufzugeben.“

Jerónimo ist seiner Mutter nicht nur dafür dankbar, dass sie ein „Nr. 1 Fan” von ihm und seinem Vater ist, sondern auch dafür, dass sie ihm dabei half, gute Eigenschaften zu entwickeln.

„Ich glaube, von meiner Mutter habe ich eher ihre Intelligenz – hoffe ich zumindest! Und auch alles, was man braucht, um diszipliniert zu sein.”

ZUHAUSE IST, WO DIE FAMILIE IST

Eine Familie definiert sich nicht nur einfach über die Personen, mit denen man aufgewachsen ist. Die Familie ist das, wo man sich zu Hause fühlt, wo man sich zugehörig fühlt.

In Mikes Fall entsteht sein Gefühl von Familie und Zugehörigkeit aus einer ganzen Reihe von Orten. Sein fußballbegeisterter Vater ist Portugiese, aber Mike war berechtigt, auch für Syrien oder für Frankreich zu spielen. Massy, in der Nähe von Paris, ist zwar sein „Zuhause“, aber er hat den Geist der Großzügigkeit und Freundlichkeit aller drei Nationen in sich vereint.

„Ich war zur Hochzeit meiner Schwester in Syrien“, erzählt er. „Das ist ein wunderschönes Land, die Kultur ist großartig, und die Menschen sind freundlich: Sie haben wenig, aber sie teilen alles.

„Portugal ist genauso: Man teilt hier alles. Es ist wirklich gut, ein Land wie dieses zu haben, denn das sind auch meine Werte: alles zu geben, alles zu teilen.“

DER BLICK AUF DIE NÄCHSTE GENERATION

Eine Familie ist nicht starr. Sie beeinflusst nicht nur die Richtung unseres Lebens, sondern verändert sich auch im Laufe unseres Lebens. Mit der Zeit schrumpfen unsere Familien, oder sie wachsen – vor allem, wenn Kinder hinzu kommen.

Man sagt, dass Kinder große Nachahmer sind, also sollte man ihnen etwas Großartiges zum Nachahmen geben. Ob sie nun Rugby spielen werden oder nicht, Mike und Jerónimo teilen diese Hoffnung für ihre eigenen Kinder.

Die beiden haben interessante Ansichten darüber, ob die Kinder in ihre Fußstapfen treten werden. Mike hat bereits zwei Söhne, während Jerónimo und seine Frau sich auf die Geburt ihrer ersten Tochter freuen.

„Ich hoffe, dass ich eines Tages, wenn ich älter bin, auch ins Stadion gehen und sie unterstützen kann“, sagt Mike. „Das ist für mich das Schönste – ein Vater mit seinem Sohn – das würde ich auch gerne machen.“

Was seine Tochter anbetrifft, ist sich Jerónimo nicht so sicher.

„Sicherlich wird sie zu meinen Spielen kommen und ein Rugby-Leben wie meine Mutter, meine Frau und meine Schwestern führen“, sagt er. „Wenn sie Rugby spielen will, werde ich nicht nein sagen, aber ich bin mir nicht sicher, ob meine Frau sie lässt.“

Die Spieler verwenden eine Canon PowerShot V10, um uns hinter die Kulissen der Rugby-Weltmeisterschaft 2023 zu führen.

Mike Tadjer steht in einem portugiesischen Rugby-Trikot an einem beleuchteten Rugby-Spielfeld neben seiner Frau, im Arm hält er seine kleinen Söhne.

Mike Tadjer mit seiner Frau und den Söhnen (Archivfoto von Mike zur Verfügung gestellt)

Ein Bild der portugiesischen Rugby-Spieler während der „Cap Ceremony“ im Vorfeld der Rugby-Weltmeisterschaft 2023

Die Spieler genießen den Moment.

Mike Tadjer auf einem Rugby-Feld mit seinem kleinen Sohn auf dem Arm

Auf dem Spielfeld mit dem kleinen Sohn auf dem Arm. (Archiv)

Der lächelnde Jerónimo Portela mit der portugiesischen Rugby-Kappe und einem Blazer

Der stolze Jerónimo auf der „Cap Ceremony“.

DAS BAND DER BRÜDER

Brüder haben nicht zwangsläufig dieselben Eltern. Die Höhen und Tiefen des Lebens mit Menschen zu teilen, denen wir später begegnen, trägt auch zu unserer Persönlichkeitsbildung bei.

Um eine solche Gruppe von Spielern zu verstehen, muss man wissen, was sie unter Brüderlichkeit verstehen.

Für sie ist Brüderlichkeit nicht nur durch die Gene definiert (sie haben alle Geschwister). Es geht auch darum, mit wem man die Umkleidekabine teilt.

„Mit einigen der Jungs bin ich wirklich eng befreundet, zum Beispiel mit Jerónimo“, sagt João. „Ich war auf seiner Hochzeit und wir haben zusammen wirklich schwere Zeiten durchgemacht. Jerónimo ist wie mein kleiner Bruder.“

Jerónimo stimmt dem zu. „Wir haben das von Anfang an aufgebaut, und jetzt sind wir wie eine Familie“, sagt er, bevor er lächelnd hinzufügt: „Ich habe in den letzten vier Jahren wahrscheinlich mehr Zeit mit João verbracht als mit meiner Frau!“

Ein Mann legt seinen Arm um einen anderen, während sie sich auf dem Trainingsplatz anlächeln
Eine Nahaufnahme des Rasens auf einem Rugbyfeld

Du kannst der beste Spieler der Welt sein, aber allein bist du gar nichts.“

Für Mike verändert diese Form der Brüderlichkeit nicht nur die eigene Persönlichkeit, sie bestimmt auch, wie erfolgreich man als Team sein kann.

„Du kannst der beste Spieler der Welt sein, aber allein bist du gar nichts“, sagt er. „Man muss ein Team sein, man muss ein Freund sein.“ 

„Du brauchst diese Verbindung zwischen dir und den anderen – selbst wenn du sie nicht so sehr magst. Ihr seid Teamkollegen. Und auf dem Spielfeld ist er wie deine Mutter, dein Vater, deine Freunde, dein Bruder. Wenn man egoistisch ist, hat man keinen Erfolg. Wir müssen zusammen und wie Brüder sein, um zu spielen und das Spiel zu gewinnen.“

ERKENNEN, WER WIR WIRKLICH SIND

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