Die hyper-visuelle Welt der „hybriden“ Generation

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Eine Aufnahme aus einer niedrigen Perspektive von einer Gruppe Jugendlicher, die auf ihre Smartphones schauen.

Es ist eine unglaubliche Ironie: Die Visualisierung ist für junge Menschen heute sowohl einfacher als auch schwieriger ist als je zuvor. Einerseits ist ihnen das gesamte Wissen der Welt jederzeit zugänglich und sie haben eine Vielzahl von Möglichkeiten, auf diese Informationen zuzugreifen. Aber viele befinden sich auch in der Phase, in der sie darüber nachdenken, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Und haben nicht die geringste Ahnung.

Denn der „klassische“ Lebensweg, den ihre Eltern eingeschlagen haben, ist für die Gen Z und auch Gen Alpha nicht darstellbar. Die künstliche Intelligenz hat die Karriereplanung völlig auf den Kopf gestellt, und Wohneigentum ist für viele nur noch ein Wunschtraum. Das Tempo der technologischen Entwicklung und die turbulenten wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse haben dazu geführt, dass sie nicht wissen können, was auf sie zukommt. Sie spüren, dass sie immer auf Nummer sicher gehen müssen.

Das Fehlen eines klaren Drehbuchs scheint sie jedoch zu motivieren, ihr Leben auf ihre Art und Weise in die Hand zu nehmen. Sie sind entschlossen, eine ganz neue Art von Beziehung zur Welt aufzubauen. Ein Beispiel: Fotografieren macht Spaß, aber es geht dabei hauptsächlich um Beobachtung. Heute sehen wir immer häufiger, dass junge Menschen verschiedene Arten von visuellen Realitäten schaffen, verändern und mit ihnen interagieren. So können sie in einer ansonsten völlig unübersichtlichen Welt ein Gefühl der Kontrolle erlangen.

Es sind die Generationen, die in die von ihnen selbst geschaffenen Welten mühelos hinein- und wieder hinausgleiten. Vor allem Roblox zeigt uns, wie mächtig solche Räume sind, in denen jeder ein Spiel entwickeln und in nur wenigen Monaten eine Millionen-Community aufbauen kann. Grow a Garden ist mit mindestens 21,9 Millionen Spieler:innen das derzeit angesagteste Spiel auf Roblox. Es wurde von einem 16-jährigen entwickelt.

Ein Junge mit Kopfhörern sitzt auf einer Couch und benutzt sein Handy und einen Laptop.

Jugendliche treffen sich bei Roblox, Minecraft oder Fortnite und nutzen Plattformen wie Discord und WhatsApp, um sich beim Spielen oder Bauen zu unterhalten oder zu chatten. Kreative Entwicklungstools wie die Unreal Engine von Epic Games finden im Rahmen kostenloser Schulungsprogramme immer häufiger den Weg in Bildungsstätten. Sie geben den Studierenden die Möglichkeit, ihre digitalen Fähigkeiten zu verbessern und noch größere und anspruchsvollere Realitäten zu visualisieren.

Man könnte sagen, sie beherrschen eine neue Art von hybrider Sprache, die das Visuelle mit praktisch allem verbindet. In gewisser Weise hat man das Gefühl, dass die Gesellschaft bis zu diesem Zeitpunkt im „Nur-Lesen“-Modus war. Jetzt haben Gen Z und Gen Alpha „Redaktionszugang“ – ohne noch eine klare Grenze zwischen dem Individuum und seinem Abbild zu haben. Wenn sie Kontakte knüpfen, dann sind diese gleichzeitig digital und physisch. Sie bringen das reale Leben in den Online-Bereich und den Online-Bereich in die reale Welt. Sie kennen die Gruppen von Teenager:innen, die alle gleichzeitig auf ihr Handy schauen? Das ist es. Benutzernamen sind die neuen Telefonnummern, und zusammen Abhängen kann man überall.

Die Freund:innen sind auf die gleiche Art und Weise kreativ – und manche kennen sich ausschließlich online. Discord-Server sind voll von ihnen. Hier findet man durch gemeinsame Interessen zusammen. Das können Themen von Minecraft-Welten, wie wir sie kennen, über YouTube-Kanäle, Anime-Originale, gefolgte Social-Media-Accounts und Memes bis hin zu Playlists sein. Was immer sie auch als gemeinsame Anknüpfpunkte haben, wird Teil ihrer eigenen „Lore“, ihrer Freundschaftsgeschichte. Das verleiht diesen Beziehungen einen wichtigen Kontext und eine Bedeutung.

Wie bei allen Freundschaften sorgen die gemeinsamen Erlebnisse für wertvolle Erinnerungen, aus denen sich Witze, Spitznamen und diese Art von Andeutungen ergeben, die man nur unter Freund:innen versteht. Auch der Content anderer Personen kann dazu „remixt“ werden. Dabei werden Bilder, Videos oder Memes anderer verwendet, um etwas Neues zu schaffen. In jüngster Zeit haben sie alte Fotoarchive bearbeitet und Musik, Filter und Bildunterschriften hinzugefügt, um aufsehenerregende Memes zu erschaffen.

Das wirft die Frage auf: War die KI der Auslöser für diese neue Art der Interaktion mit der visuellen Welt? Oder war es einfach nur ein günstiger Zeitpunkt? Es besteht kein Zweifel daran, dass Gen Z und Gen Alpha mit 24/7-Konnektivität aufwuchsen und das parallele Heranreifen der KI ihnen eine faszinierende Perspektive gegeben hat. Aber das ist nicht ohne Risiko: Wenn visuelle Erzählungen – Bilder, Videos – so einfach erzeugt werden können, könnten sich „fake“ KI-Inhalte irgendwann realer anfühlen als die Wirklichkeit.

Vier Kinder in Schuluniform sitzen nebeneinander, jedes von ihnen benutzt ein Tablet.

Daher ist es vielleicht beruhigend festzustellen, dass die Jugendlichen von heute eine fast unheimliche Intuition beim Erkennen solcher Fakes haben. Sie kennen den Wert ihres kritischen Blicks und ihrer Meinung sowie die Instrumente der Monetarisierung und Manipulation.

Alles in allem ist es kein Wunder, dass Gen Z und Gen Alpha ihre Grenzen genau kennen und schützen. Frühere Generationen haben das Thema Online-Privatsphäre und -Identität oft missverstanden. Gen Z und Gen Alpha sind sie da viel klüger und wissen besser, was sie anbieten und was sie dafür erwarten.

Das bedeutet, dass es bestimmte Grenzen dafür gibt, was sie öffentlich machen – und sie erwarten von den Anderen, dass sie das respektieren. Man hat wirklich das gute Gefühl, dass sie die Online-Welt im Griff haben. Ist das ein Zeichen dafür, dass wir bis jetzt noch nie einen echten „Digital Native“ gesehen haben?

Ob in der Ausbildung oder im Berufsleben – diese jungen Menschen gehen in eine neue Mittelschicht über. Das, was die Welt von ihnen sieht, wenn sie das Haus verlassen, um zur Schule, zur Universität oder ins Büro zu gehen, stimmt vollständig mit dem überein, was sie als Daten präsentieren. Sie nehmen als eine Person zwei ganz unterschiedliche Zustände ein, während sie gleichzeitig beide Welten um sich herum gestalten. So etwas hat es noch nie zuvor gegeben. Das Konzept „always on“ erreicht damit ein neues, für viele fast verwirrendes Niveau.

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